Liederzyklus – Entlang der Schwarza
„Lässt mich mein Reichtum im Stich, raubt er mir nichts als seine Gegenwart. Du dagegen wirst wie betäubt sein und dir ohne ihn wie von dir selbst verlassen vorkommen. Ich gestehe dem Reichtum einen bedingten, du den höchsten Wert zu; kurz, ich bin sein Herr, du sein Sklave!“ (Seneca, Vom glücklichen Leben)
Irgendwann zwischen 2010 und 2012 entstanden.
1 – Entschluss
Der Regen schlägt ans Fenster,
aus dem ich leblos schau’.
Wie dieser Mittagshimmel
ist’s auch in mir so grau.
Mein Herz und Geist sind müde
und wollen endlich fort.
Sie sehnen sich nach Ferne,
ja, einem fremden Ort.
Den Stift und reichlich Zettel,
auch manchen Proviant
verstau’ ich in der Tasche,
verlasse so das Land.
2 – Die Dichterin am Bahnhof
Am sechsten Gleis sitzt schreibend
ein Mädchen ganz allein.
Ihr Haar, es tanzt im Winde
und glänzt im Sonnenschein.
Verträumt sind ihre Augen,
so wunderschön zugleich.
Willst du nicht mit mir fahren
gar in ein fremdes Reich?
Sie will es mir nicht sagen.
Mein Zug, er fährt gleich an.
Ob ich sie jemals wieder,
nur einmal sehen kann?
3 – Zugfahrt
Des Schaffners Trillerpfeife
erschallt und krächzt und schreit.
Mein Zug verlässt den Bahnhof
zur rechten Abfahrtszeit.
Es laufen die Motoren.
Die Weichen sind gestellt.
Zu bunten Streifenmustern
verwandelt sich die Welt.
Fahr’ schneller, immer schneller!
Fährst mir nicht schnell genug!
Lass keine Zeit verstreichen,
so bring’ mich fort, mein Zug!
4 – Des Dichters Traum
Auf aussichtsreichem Berge,
wo ich sonst einsam bin,
dort sitze ich verzaubert
mit meiner Dichterin.
Wir schreiben uns und lesen
am grünbedeckten Ort
Sonett- und Liederstrophen
mit manchem Liebeswort.
Wie jeder unsrer Verse
ein Ende haben muss,
erfolgt auf stilles Hoffen
der lang ersehnte Kuss.
5 – Auf der Suche
Nun bin ich angekommen.
Die Luft ist frisch und rein.
Ich hör’ die Schwarza rauschen.
Wo aber mag sie sein?
Er wäre schnell gefunden,
der Wanderpfad zu ihr,
säh’ ich nur eine Brücke.
O Schwarza, zeig’ dich mir!
Lass mich dich endlich finden!
An deinem Lauf entlang,
da möchte ich doch träumen
mit hellem Wandersang.
6 – Das Wanderlied
Wenn es am Morgen dämmert,
der Hahn gekrähet hat,
ja, dann beginnt die Reise
zum Wald fernab der Stadt.
Lasst uns stets singend wandern,
wohin der Wind sich dreht,
bis spät am Abend wieder
die Sonne untergeht.
Und haben wir auch niemals
ein einzig’ Ziel erreicht,
so wissen wir, dass Wandern
für uns mit Glück sich gleicht.
7 – Vom verlassenen Jüngling
Es stehen Wanderleute
um einen Beerenstrauch,
an dem ein Jüngling zerret,
umweht vom kalten Hauch.
Er spricht von Liebesqualen,
von Liebchens neuem Mann
und hofft, dass er dem Leben
mit Gift entfliehen kann.
Es folgen tausend Tränen.
Er schreit: „Ich schaff’ es nicht!“
Ach, er kann nicht vergessen
ihr liebes Angesicht.
8 – Sinnverlust
Ich seh’, wohin ich sehe
nur schweres Wolkengrau.
Vergebens such’ ich droben
nach klarem Himmelsblau.
Der Anblick macht mich trübe
und letzte Wanderlust
weicht längst verdrängten Klagen
in meiner Schmerzensbrust.
Wohin nur soll ich wandern?
Ach, was soll all der Tand?
Mein Herz, es wird nie schweigen,
zerstreut bleibt mein Verstand.
9 – Vergeblichkeit
Die Stunden sind vergangen.
Ich wanderte mit Hast,
beginne schon zu zittern
und brauche dringend Rast.
Oh, meine Beine schmerzen,
die Füße sind schon wund.
Mein Leib, er schreit nach Kräften,
vertrocknet ist mein Mund.
Was nützen Trank und Speise
denn ohne Lebenssinn?
Kann ebenso gut hungern,
bis ich gestorben bin.
10 – Aufatmen
Auf einmal peitschen Winde
und nehmen ihren Lauf
durch Gräser und durch Bäume
zum Himmel hoch hinauf.
Dort reißen sie die Wolken
fast unbemerkt entzwei.
Schon eilen erste Grüße
vom Himmelsblau herbei.
Und wie die Wolken schwinden,
zeigt sich ein Sonnenstrahl,
schenkt Licht und Wärme
dem stillen Schwarzatal.
11 – Blauer Vogel
Es sitzt ein Vogel schweigend
auf einem Buchenast.
Dann weitet er die Flügel
und wird des Himmels Gast.
Sein Glück hat er gefunden
im Abendsonnenschein.
Drum singt er, tanzt zufrieden,
ist er auch ganz allein.
Es klingt die letzte Strophe.
Er fliegt sodann hinfort.
Für dich, mein guter Lehrer,
sei dieses Dankeswort.
12 – Die Schwarza
Wenn ich an deinen Ufern
noch tief im Tale steh’,
da höre ich kein Rauschen
und denk’, du seist ein See.
Doch weiter Richtung Berge
bist du es, die im Wald
mit ihren Stromeskräften,
ja, alles überschallt.
Ich glaub’, wir sind uns ähnlich,
vielmehr als je gedacht.
Denn aus den Widersprüchen
folgt erst des Lebens Pracht.
13 – Lebenssinn
Von Bergen dicht umschlossen,
in weiter Einsamkeit,
erwachst du, Herz, und spürerst,
wie sich mein Geist befreit.
Die Felsenwände zeigen,
wie klein ich Mensch doch bin.
Zu ihren Höhen strebe
ich aber stetig hin.
Was wäre, ach, das Leben,
mehr als ein Todesspiel,
wenn wir nicht träumen könnten
und keiner säh’ ein Ziel?
14 – Ein letzter Blick
Ich stehe auf dem Berge.
Im Tal kehrt Stille ein.
Aus warmem, tagesgelbem
wird abendroter Schein.
Im Fernen unvergesslich
erstrahlt die Dämmerglut.
In mir erwacht allmählich
des Abschieds Schweremut.
Ich kehre meinen Rücken,
als eine Träne klingt
und flugs im Waldesboden
für immer tief versinkt.
15 – Abschied und Willkommen
Was soll ich denn hier warten
auf meinen Zug nach Haus’?
Es zittern schon die Schienen.
Er naht, oh, welch ein Graus!
Zu schön ist’s hier gewesen.
Ich fühlte mich so frei.
Doch muss ich Abschied nehmen.
Mein Zug kommt rasch herbei.
Vielleicht empfängt mich aber,
wo ich zu Hause bin,
mit sehnsuchtsvollem Gruße
die junge Dichterin?
