Einfach nur nach Rügen
Wie man erkennt:
nur ein Fragment,
das noch gedeiht,
ach, mit der Zeit!
Erste Entstehung im Herbst 2024
Träumerisches Vorspiel
Ich hetzte schweißbenetzt und mit wildem Herzen durch einen hochgewachsenen Buchenwald einer rotäugigen, schnaubenden Bestie davon. Starr waren alle Äste und Blätter. Die Bäume brauchten sich nicht rühren und etwas kundzutun, denn ich war nur einer von vielen.
Meine Kräfte verließen mich allmählich. Ich konnte nicht umkehren, konnte nicht rasten, konnte keinen anderen Weg als den, der vor mir lag, einschlagen, denn sonst hätte ich mich der Bestie sofort zum Fraß vorgeworfen. Sie näherte sich. Immer lauter hörte ich sie, doch ich rannte weiter.
Der Wald lichtete sich und ein Klippenrand tat sich vor mir auf. Mit allem Lebenswillen sprang ich einfach. Das Waldesgrün verschwand und während ich fiel, wurde ich für einen Wimpernschlag eines lilablauen Dämmerhimmels gewahr.
Ich landete in einem weichen, feinen Sand und rührte mich nicht. Erst nach einigen Augenblicken bemerkte ich kein Bestienschnauben mehr, stattdessen rauschten sanfte Wellen neben mir und eine Möwe stieß einen weiten Ruf aus. Ich stand auf und traute meinen Augen kaum. Ich blickte in die Unendlichkeit des Meeres am Ufer eines Steilklippenstrandes. Ungläubig sah ich die Höhen hinauf und wunderte mich, wie ich meinen Sprung überleben konnte.
„Nach dem Sprung sehen sie immer höher und steiler aus, weil wir nicht zu fassen vermögen, zu was wir fähig sein können. Aber ein Sprung genügt und die Bestie jagt jemand anderen.“ So sprach ein Mann zu mir, der in Betrachtung der Landschaft Skizzen zeichnete. Er war gut einen Kopf größer als ich, trug einen markanten Backenbart und hatte meerblaue Augen. Während seiner Worte skizzierte er weiter, als habe er keine Zeit zu verlieren. „Was zeichnest du?“, fragte ich ihn. „Die Bäume auf der Klippe da vorn. Sie werden Teil eines Gemäldes, das ich bald anfertigen werde.“ Mir stellten sich unzählige Fragen ob dieser Antwort, aber mir fehlten Kraft und Konzentration, um meiner Wissbegier Ausdruck zu verleihen.
Plötzlich legte er seinen Skizzenblock nieder. Er sah mich an und es war, als lasen seine Blicke meine Seele. „Die Bestie hat dich gejagt. Du bist ihr entkommen. Das ist ein gutes Zeichen.“ „Und jetzt?“, stammelte ich. „Jetzt gehe dem nach, wonach deine Seele hungerte und dürstete. Du hast gelernt, die Menschen und so viele mehr zu hassen. Ich sehe es dir an. Aber du liebst sie auch und deswegen zog es dich hierher in die Strandeinsamkeit. Um sie nicht zu hassen, musstest du den Umgang mit ihnen unterlassen. Hier kannst du nun dein Werk beginnen und es vollenden.“ „Welches Werk denn?“, entfuhr es mir plötzlich. „Du weißt genau, wovon ich spreche, mein Dichtergeselle.“
Mit diesen Worten verstummte er und ging schweigend seines Weges, als vom Meer ein Sturm mit gefährlich dunklen Wolken aufzog. Ich blickte dem Mann noch nach und fragte mich, ob ich das Dichten tatsächlich wieder beginnen sollte. Auf einmal setzte ein starker Regen ein und ich erwachte.
Regentropfen prasselten aggressiv auf das Dach meiner Wohnung in der Stadt, die mir das Sehnen lehrte, gleichzeitig aber das Dichten raubte. Mit festem Willen stand ich auf, das wiederzulangen, was ich einst verloren hatte. Ich öffnete ein Fenster und hörte sofort den alltäglichen Stadtlärm. Ich seufzte, erinnerte mich an meinen Traum zurück – und so begann ich wieder zu dichten.
Zu viel
Der Regentag hat erst begonnen,
schon nervt von draußen das Geseier –
stumpf, bildungsfern und unbesonnen –
der Herren Dickwanst-Biedermeier.
In irgendeiner Nebengasse
quietscht, scherbelt, mault und knallt es wieder.
Dann kreischt noch eine Menschenmasse.
Verärgert zucken mir die Glieder.
Ich könnte allem glatt verzeihen
und mich mit diesem Krach versöhnen,
ach, würde nicht der Kirchturm schreien
und alles schlichtweg übertönen!
Genug! Es reicht! Ich brauche Ruhe!
Wo sind mein Rucksack, meine Sachen,
der Schreibstift und die Wanderschuhe?
Ich will mich auf die Reise machen!
Empfehlungen für das Wandern
Da du zu wandern trachtest,
vernimm noch meinen Rat
und schreite erst zur Tat,
wenn du ihn durchdachtest.
Ob Kleidung oder Speise –
nimm möglichst wenig mit,
denn leicht fällt jeder Schritt,
reist du auf schlichte Weise.
Vermeide es zu hasten
und schaffe jederzeit
dir eine Möglichkeit
am Wegesrand zu rasten.
Und allen Menschen sende,
streifst du von Ort zu Ort,
zum Gruß ein liebes Wort,
doch meide sie am Ende.
Anreise
Fern von Dörfern, Städten, Straßen,
über Stöcke, über Steine,
ohne Menschen, ganz alleine,
frei von allen Übermaßen
wandre ich im Sonnenscheine.
Ringsum Hügel, Blumenwiesen,
Kiefern, Lärchen, Buchen, Eichen,
Schäfers Herden auf den Deichen,
Bäche fließen, Blumen sprießen
Weiter als die Blicke reichen.
Wärme, Himmel, Klänge, Düfte –
ja, an diesen vielen Gaben
werde ich mich jetzo laben.
Aber salzerfüllte Lüfte
will ich letztlich um mich haben!
Zu Hause
Wie wunderschön du bist!
Zu lange ist es her.
Ich habe dich vermisst,
mein Glitzerwellenmeer!
So oft, nein, täglich klang,
damit du es nun weißt,
dein linder Rauschgesang
im Herzen und im Geist.
Jetzt stehe ich vor dir
verstummt ganz einfach da.
Ich bin tatsächlich hier –
und klaren Tränen nah.
Der Wind zerzaust mein Haar.
Ich starre vor mich hin
und werde mir gewahr,
dass ich zu Hause bin.
Das Sturmgedicht
Bei Kerzenflackerlicht
im schimmelschwarzen Reetdachhaus
schreibt jemand ein Gedicht
erfüllt von Qual und Pein und Graus.
Und draußen greift ein Sturm
die heimatfernen Schiffe an.
Selbst hoch im Lotsenturm
fängt man bereits zu beten an.
Doch als der Schlussvers steht,
wird aus dem Sturm ein leichter Wind.
Man weiß, wenn er bloß weht,
dass alle nun gerettet sind.
Eine Frage
Ist es noch sittlich gut, am muschelvollen Strand
den Meereshorizont zufrieden zu genießen,
weil alles Sorgen ruht und Stunden sanft zerfließen
weitab vom Städtekrach, fernab vom Menschentand,
solange auf der Welt ein Staat ein Nachbarland
aus Lust erobern will, die Völker sich beschießen,
im Überlebenskampf alltäglich Blut vergießen,
und Herrschermacht zerstört, was alle einst verband?
Der Mensch ist nur ein Mensch und lebt in engen Grenzen,
sei er vielleicht noch arm, sei er schon reich an Lenzen –
er kann nicht tätig sein, wenn er nicht manchmal ruht.
Ist er jedoch genesen, soll er zu allen Zeiten
im Namen der Vernunft für Frieden allseits streiten.
Die Ruhe und das Tun sind im Verbund erst gut.
Spuren hinterlassen
So gerne trällern die zu vielen Stumpfen,
dass Spuren in der Welt zu hinterlassen,
ja, hört, hört, irgendwie bedeutend sei.
Sie wiederholen ihren tollen Singsang,
damit du glauben sollst, sie sängen Wahres
Geh’ nur, gehorche diesen Leierkästen,
die tönen, aber nicht zu leben wissen,
und wandere am Küstenstrand entlang.
Ergötzlich werden deine Spuren sein,
so einzigartig, stolz und wunderschön,
bis eine, ja nur eine Welle naht
und du auf ewig ganz vergessen bist.
Drum reih’ dich nicht in leere Alltagslieder,
die jeder stümperhaft zum Besten gibt.
Verschließe deine Ohren und verstehe:
Nicht deine eitlen Spuren sind von Wert,
doch jeder Weg, den du gegangen bist.
Weißer Nebel
Von der See zieht still
weißer Nebel Richtung Land.
Die Küste schwindet.
Plötzlich bist du überall
und gleichzeitig nirgendwo.
Es ist nichts vergebens
Die Sonne senkt sich letztmals nieder
und schafft vor mir ein Farbenmeer.
Zum Aufbruch mahnt die Pflicht mich wieder.
Mein Blick wird leer, so traurig leer.
Mein Glück muss plötzlich enden;
der Alltag greif bereits nach mir.
Nun ist es Zeit, sich abzuwenden
vom Glanz, vom Meer, von allem hier.
Ich wage nicht, mich umzudrehen.
Ein jeder Schritt gleicht einem Stich.
Im Wind verhallt mein leises Flehen:
„O Welt der Zahlen, schone mich!“
Ein Blinzeln – schon bin ich umgeben
von ihrem Trott und ihrem Tand,
von Jahresplänen, Renditenstreben
und ihrer unsichtbaren Hand.
Erneut als Teil des tristen Treibens
an einem mir so fremden Ort
träum’ ich mich Dank des Verseschreibens
nach dem getanen Tagwerk fort.
